Storys

Wie es anfing

Ich höre zum ersten Mal etwas von Biografiearbeit. Habe gerade mit über 50 eine unbefristete Stelle gekündigt wegen Mobbing. Bin beeindruckt vom Konzept der Biografiearbeit, gerade in dem Moment, wo ich eine neue Arbeit finden muss, was nicht einfach ist.

Erzähle einer Freundin am Telefon von der Idee. Kaum habe ich das Wort „Biografie“ ausgesprochen, hört sie gar nicht mehr zu, was mich kurz etwas ärgert. Sie ruft: „Biografien schreiben! Das musst du machen! Du hast doch früher tolle Texte geschrieben!“ Sie erzählt von einer Bekannten, die das macht: Lebensgeschichten aufschreiben für Leute, die etwas zu erzählen haben, das aber nicht selbst aufschreiben wollen oder können.

Ich schaue im Internet nach: Tatsächlich. Mehrere Dutzend Leute bieten das professionell an. Der passende Berufsverband Biografiezentrum ➠ bietet ein Wochenendseminar an, um in den neuen Beruf einzuführen. Perfekt! Ich mache mich selbstständig und beginne, Schreibseminare zu besuchen. Die Hilfen zum Schreiben (als erstes „Dialoge und Figuren“ mit Claudia Winter in Nürnberg) sauge ich auf und genieße es, gerade entstandene Texte vor den Teilnehmer*innen vorzulesen. Kaufe Bücher übers Schreiben. Überarbeite meine Texte immer wieder. Tausche mich – ganz wichtig! – mit Kolleginnen und Kollegen aus und bin überwältigt von der Fairness, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, die in Autor*innenkreisen herrscht.


Wie ich mich in Schreibwerkstätten wiederfand

Schreibwerkstätten anzubieten war zuerst ein Nebeneffekt meiner Arbeit, mit der ich ja vor allem für Leute schreiben will, die es selber nicht wollen oder können.

Dann begann mich immer mehr zu interessieren, wie ich Leute anregen kann, selbst zu schreiben, und wie ich ihnen helfen kann, die Schwierigkeiten dabei zu überwinden.

Es schien, als hätten die Leute nur darauf gewartet. Bereitwillig lasen alle (wirklich fast immer alle) ihre gerade entstandenen Texte vor. Die anderen hörten fasziniert zu. Dieses Zuhören wiederum hatte mehrere verblüffende Effekte: Zum einen war es ein schönes Gefühl für die Vorlesende − wer erzählt nicht gern über sich selbst, und die Zuhörenden finden es interessant? Das tut einfach gut, gerade wenn man schwere Lasten aus der Vergangenheit mit sich trägt. Aber wir waren nicht etwa ein trübsinniger Haufen. Wie oft brachen wir alle in schallendes Gelächter aus, wenn ein lustiges Missgeschick gut erzählt wurde. Der zweite Effekt war, dass alle ihr Gefühl für Sprache und Erzähltechnik schulten. Ganz (oder fast ganz) ohne Dozieren, einfach durch das Zuhören. Denn beim Feedback ging es immer wieder um die Frage: „Wie ist das erzählt?“ Dann kamen nützliche Anregungen, wie man an der und der Stelle noch pointierter oder noch genauer sein kann.

Wichtig auch: Was man weglassen kann.

Das Beobachten beherrschen einige von uns bereits, und das ist eine der Voraussetzungen für gutes Erzählen. Man kann es üben. Wie sah es dort aus? Was hörte man? Was roch man? Wie fühlte sich das an? Wie kann ich eine Person durch ihre Sprache charakterisieren?

Oft, wenn die Gruppe nicht zu groß war, lasen wir die Texte zweimal hintereinander vor. Unglaublich, wie anders man beim zweiten Mal zuhört. Was man alles beim ersten Mal nicht bemerkt hat. Manchmal suchten wir dann gemeinsam nach einem guten Titel für die kleine Erzählung.

Das ist eine Kunst für sich! Und lohnt sich!